Unreine Sutras
Miss/Verständnis: die agonistische und integrative Funktion von Meinungsverschiedenheiten im gesellschaftlichen Leben
“Im Grunde genommen gibt es keine ‚neutralen‘ Wörter und Formen; die Sprache ist restlos vereinnahmt worden und mit Absichten und Akzenten durchsetzt. Für jedes individuelle Bewusstsein, das in der Sprache lebt, ist sie kein abstraktes System von normativen Formen, sondern eine konkrete, heteroglotte Vorstellung von der Welt. Jedes Wort schmeckt nach dem Zusammenhang und den Zusammenhängen, in denen es sein gesellschaftlich aufgeladenes Leben gelebt hat; alle Wörter werden von Absichten bevölkert. Kontextuelle Beiklänge (allgemeine, tendenziöse, individuelle) sind bei einem Wort unvermeidbar. Als ein lebendiges, sozioideologisches konkretes Ding, als eine heteroglotte Meinung, liegt die Sprache für jedes individuelle Bewusstsein an der Grenze zwischen sich und dem andern. Das Wort in der Sprache gehört zur Hälfte jemandem andern. (M. Bachtin: Das Wort im Roman, in: Die Ästhetik des Wortes)
Einleitung
Ich möchte mich beim IETM und den Organisatoren für die Einladung bedanken. Ich bin gebeten, Ihnen meine Erfahrung mit dem Thema Missverständnis aus der Sicht von jemandem, der ausserhalb Europas lebt, weiterzugeben. Davon ausgehend, dass wir momentan in einer ausserordentlichen Zeit leben, vielleicht sogar einen Augenblick der Renaissance erleben, möchte ich zuerst auf die belastenden Themen zu sprechen kommen, die uns die Gegenwart bereithält. Ich versuche sie zu begreifen, um anschliessend ihre Entwicklung und die Art und Weise, wie sie auf unseren Planeten, unsere Körper und unseren Geist Einfluss nehmen, im einzelnen zu beschreiben. Danach möchte ich einen Schritt zurücktreten und einen Blick auf die grösseren Entwicklungen der Globalisierung werfen, wie sie mit ihren immanenten Missverständnissen den sorgfältigen Umgang mit unserer kollektiven Zukunft bedrohen. Planet, Körper und Geist sind intuitiv aussagekräftige Werte im Bezug auf die thematischen Stränge der Konferenz, da Kunst, Wirtschaft und Politik keine klar abgrenzbaren Räume darstellen.
Ich betrachte das Thema “Missverständnis” aus einer multidimensionalen Perspektive und unterscheide fünf sich überschneidende Bereiche: Geschichte, Kultur, Politik, Machtstrukturen und das Individuum. Diese beziehungsstiftenden, voneinander abhängigen und dynamischen Dimensionen, wie ich sie vorschlage, prägen unseren Umgang mit der Differenz, der Identität, der Mobilität und der Problematik der grenzüberschreitenden Kommunikation.
Ich stelle Michail Bachtins Idee der dialogischen Vorstellungskraft in den Vordergrund. Er betrachtet linguistische Strukturen als Verhaltenssysteme, in welchen unsere Wörter zu Fingern werden, die berühren oder wegstossen, die Fantasie anregen oder unterdrücken können. Und ich verweise auf die Forschungsarbeiten von Donna Haraway. Sie präsidiert das “History of Consciousness Program” der University of California. Sie schrieb ihre Dissertation über die Funktion der Metapher in der Untersuchungsgestaltung der Entwicklungsbiologie im zwanzigsten Jahrhundert. Sich auf Erkenntnisse aus der Biologie stützend, weist sie darauf hin, dass gewisse Vorbedingungen wie das metaphorische Denken, die Vorstellungskraft und das Einfühlungsvermögen Grundvoraussetzungen für ein komplexes Verständnis der Welt sind und – in unserem Zusammenhang – für ein Verständnis des „Anderen“ und deshalb für unser eigenes, oder in der umgekehrten Reihenfolge.
Ich stelle fest, dass es bei Missverständnissen häufig um Differenzen, Spannungen und Machtkämpfe im Alltag geht, und dass das Missverstehen ein für unser Demokratieprojekt zentraler Vorgang ist. Das Missverständnis kann ein Katalysator für gemeinsam gemachte Erfahrungen sein, die andere nicht machen. Es bereitet so den dialektischen Raum für Zustimmung oder Ablehnung vor – es ist eine energiegeladene Rückkoppelungsschlaufe für die Erweiterung der Realität und für neue Möglichkeiten.
Und schliesslich stelle ich fest, dass es am schöpferischen Individuum liegt, eine führende Rolle einzunehmen und sich mit den damit verbundenen Risiken abzufinden – denn, wenn man tolerierte Vermeidungsrituale beidseitig untergräbt, ist dies ein Akt des Nehmens und Gebens. Mary Anne DeVlieg sprach in ihrer Eingangsrede von schwerfälligen Angewohnheiten des Geistes. Ich zitiere meine Freunde Monica und Scott: „Die Offenheit für kulturelle Unterschiede bringt die inhärente Gefahr mit sich, dass sich unsere Sprache und unsere Selbsterkennungsstrukturen tiefgreifend wandeln.“ Es ist also kein einfacher aber dennoch ein unvermeidbarer Vorgang, da heute Wandel eine ständige und flüchtige Verlagerung der Definitionsmacht über die verhandelbaren Begrifflichkeiten bedeutet.
Wie Sie vielleicht wissen, lebe ich in Kanada. Kanada ist das Wort der Huronen/Irokesen für “Dorf”. Dieses Dorf ist das zweitgrösste Land der Welt mit einer föderalen, zehn provinziellen und drei territorialen Rechtssprechungen. 31,6 Millionen Menschen teilen sich das riesige Gebiet. Die Bevölkerungszahl ist nur gerade viermal höher als die der Schweiz. Kanada ist ein Land der grossen Unterschiede, das keinen allgemeingültigen Gründermythos zuliess. Von Beginn weg hatte Kanada mit der Vielfalt zu leben und sich den Ureinwohnern, dem Nationalismus in Quebec, dem Regionalismus und den sehr vielfältig kulturell aktiven Gemeinschaften zu stellen.
Die Erbschaft der ungerechtfertigten behördlichen Einweisung der Indianer in Internate, die Vertreibung der Akadier, die chinesische Kopfsteuer, die Segregation der Schwarzen und die Internierung von Japanern und Ukrainern während des Zweiten Weltkriegs trüben das Bild der kanadischen Landschaft. Solche Missverständnisse, von einer dominierenden Ideologie verursacht, machten die Tradition des Streitens, des Widerstands, der Verhandlung, des Entgegenkommens und der Vereinnahmung zu einem Teil der nationalen Seele.
In Kanada wurden und werden interkulturelle Wertkonflikte oder Missverständnisse in einem rechtswirksamen, in der Gesetzgebung und in der Verfassung verankerten Rahmen verhandelt. Eine nationale Gesetzgebung „verwaltet“ die Ungleichheiten und balanciert sie aus. Dieser Rahmen befördert gleichzeitig die individuellen Rechte und die kollektiven Rechte von Minoritäten. In diesem Sinne stützen sich die geltenden Richtlinien der politischen Behörden Kanadas nicht auf eine Reihe von „gemeinsamen Werten“ sondern sie richten sich nach dem Ziel, einen im Bezug auf umstrittene Wertefragen „neutralen“ Rahmen bieten zu können. Damit fördern sie die für alle Parteien vorteilhafte Zusammenarbeit.
Ein Beispiel hierfür ist das Turbanverbot bei der Royal Canadian Mounted Police (der berittenen königlichen Polizei Kanadas), das 1990 angefochten wurde. Die kanadische Regierung berief sich auf die Menschenrechte und brachte die Verfügung zu Fall. Die Sikh unter den Polizisten dürfen heute den Turban als Teil ihrer Uniform tragen.
Der Kunstbereich Kanadas wurde in den Achtziger- und Neunzigerjahre von einer dynamischen kulturellen Rassenpolitik geprägt. Sie transformierten die Definitionsmacht und die Kontrolle über kulturelle Werte. Ich arbeitete damals auf städtischer wie auf föderaler Ebene und hatte eine Brückenposition inne zwischen den Kulturförderern und dem breiten kulturellen Feld von Künstlern und deren Organisationen. Meine Aufgabe bestand darin, diesen Künstlern durch die Entwicklung von Strategien und Programmen, die für verschiedene Ästhetiken, Genres und Generationen offener waren, mehr Spielraum zu verschaffen. Ich machte auf Mängel in der Infrastruktur aufmerksam, auf fehlende Distributionsnetzwerke, Vorzeigeplattformen und administrative Instrumente. So viel zu meinem lokalen Kontext. Aber ich möchte nun weitergehen zum globalen.
Planet/Körper/Geist
In seiner Nobelpreis-Rede von 1990, „Auf der Suche nach der Gegenwart“, stellte der mexikanische Dichter Octovio Paz fest, dass wir Zeugen einer Zukunftsdämmerung seien, in der alle Regeln, von denen wir uns in den letzten zweihundert Jahren hatten leiten lassen, neu geschrieben und alle Rollen neu verteilt werden. Wir hätten das Ende von des einen Zyklus erreicht und würden nun den neuen einleiten.
Er schreibt: “Lange habe ich fest daran geglaubt, dass die Dämmerung der Zukunft die Ankunft des Jetzt ankündigt. Über das Jetzt nachdenken bedeutet, erst das kritische Sehvermögen wiederzuerlangen.“ Ich möchte nun also die Messlatte etwas höher ansetzen und gemeinsam mit Ihnen einen Blick auf unser Jetzt werfen, auf die schwer fassbare Gegenwart. Wir befinden uns, wie der Soziologe Zygmunt Bauman sagt, in einem Zeitalter der flüchtigen Moderne. Die treibende Kraft dieses Zeitalters wird von einem unendlichen Universum unermesslicher Komplexität charakterisiert. Eine schnelle Entwicklung der Wissenschaft und der Technologie hat Raum und Zeit kollabieren lassen. Und wir sind in eine Epoche katapultiert worden, in der unser Alltag von der Schnelligkeit kontrolliert wird, unsere Gewohnheiten aus Zeitmangel einen Kurzschluss erleiden und alle unsere Lösungsansätze durch Vielheit definiert werden. Um eine Ahnung davon zu bekommen, in was für einer Beschleunigung wir leben: Von 1800 bis 1900 brauchte es hundert Jahre, bis sich dass Wissen verdoppelte, heute verdoppelt es sich dreimal jährlich.
Dies ist auch ein Zeitpunkt in unserer Geschichte, wo die Hightech-Macht und die Habgier eines globalisierenden Ehrgeizes die unerbittliche Kolonialisierung des Öffentlichen durch das Private mit sich bringt. Eine exterritoriale politische Ökonomie, die mit Konflikten, Deregulierung und Polarisierung agiert, erhält sich eine Struktur der Unsicherheit und Angst, damit nichts dem Profit im Wege steht. Hier in Europa ist es vielleicht nicht so körperlich spürbar wie in meinem Land, das unmittelbar an die weltgrösste Wirtschaft und eine versagende Supermacht grenzt.
In den letzten paar Wochen waren wir alle unbeteiligte Beobachter von freien Märkten, die so frei und uneingeschränkt geworden sind, dass sie sich nun im freien Fall befinden. Diese sich wandelnde kapitalistische Ordnung ist daran, uns den grössten Zaubertrick aller Zeiten vorzuführen. Sie schiebt ihre ganze Verantwortung der Öffentlichkeit zu und sich das öffentliche Geld. Damit sichert sie sich ihre Spekulationssucht.
Naomi Klein nennt dies den risikofreien Kapitalismus oder die Sozialisation des Risikos bei gleichzeitiger Privatisierung des Profits. Nachdem der Markt die Regeln der Geschichte mit eigenen ausgetauscht hat, verschlingt er nun seinen eigenen Schwanz. Gleichzeitig im Verlauf der kommenden zwanzig Jahre verschiebt sich das wirtschaftliche Gravitationszentrum vom Westen in den Osten. Die wartende Supermacht China wird bereits 2025 die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt sein. Es ist bezeichnend, wie sich der britische Premierminister in China und Saudi Arabien dafür einsetzte, dass die beiden Länder Gelder in den Internationalen Währungsfonds einschiessen würden, damit dieser wiederum flüssige Mittel in die Weltmärkte einspeisen kann, um damit bankrotte Nationen wie Island stützen zu können. Im Gegenzug nimmt die Macht dieser Staaten auf der Weltbühne zu.
Es ist auch eine Zeit, in der auf Grund der negativen Folgen eines fundamentalistischen freien Marktes unsere ökologische Umwelt die Kapazitätsgrenzen der Erde überschreitet. Dies ist ein Vorgang, der bei Trinkwasser und Nahrung für eine Mehrheit der Weltbevölkerung geopolitische Probleme schafft. Amerikanische Dienste schätzen, dass 2025 bereits 1,4 Milliarden Menschen in 36 Ländern keinen Zugang zu Trinkwasser und Nahrung haben werden. Auch hier, in Spanien und Frankreich, finden wegen der Nahrungsmittelpreise Unruhen und Streiks statt. Lebensmittel in Spanien sind meines Wissens über 20-40% teurer geworden.
Und dann gibt es den Klimawandel!
Diese kontextuelle Untermauerung des ungewissen Zustands unseres Planeten bringen mich zur folgenden Frage, die auch einen Bezug zum Thema Missverständnis hat: Was ist unsere Rolle als Künstler / Autoren / Produzenten in einer Zeit, in der so viel auf dem Spiel steht? Haben wir genügend Zugriff auf die Gegenwart, um einer Vereinnahmung zu entgehen und die rutschige Globalisierungsroute zu umschiffen? Es ist eine Route, die sich einen Weg bahnt zwischen dem Kitzel einer Globalisierung, die Kulturen zu einer Ware macht, und einem tieferen Verständnis und Widerstand. Dies ist der Kultur angemessen und wichtig für interdisziplinäre Netzwerke, die auf Komplexität reagieren können, und für den kritischen Weitblick, der uns für ein sich wandelndes Jetzt das nötige Rüstzeug liefert.
Im Buch „Paradigm Wars: Indigenous Peoples Resistance to Globalization“, schreibt Jeannette Armstrong, kanadische Ureinwohnerin, Schriftstellerin und Lehrerin, dass wir Menschen in der Weltanschauung der Okanagan die Traumkraft der Erde sind. Das Wort der Okanagan für Körper heisst wörtlich „die Land träumende Kraft“. Worauf beruht also, wenn wir träumen, die Gestalt der Kunstwelt oder der Welt in diesem kommenden Jahrhundert? Was werden die neuen Strukturen sein, die dem tiefgreifenden Wandel, den wir erfahren, positiv entsprechen?
Vielleicht sind dies alles sehr weit gefasste und befrachtete Fragen, die ich stelle, und ich bin mir sicher, dass jeder und jede hier bereits um Antworten ringt. Möglich, ich hätte stattdessen eine Geschichte erzählt. Aber in diesen Zeiten des schnellen Wandels sind es wir hier, die in diesem Raum zusammen sind, die sich im Mittelpunkt des neuen Zyklus, des neu zu konzipierenden Zeitalters, befinden. Wir sind es, die daran beteiligt sind, multi, inter oder hybrid, eine neue Kultur zu gestalten, Es ist eine neue Geschichte mit einem neuen Wertesystem, dessen Bilder und Symbole uns die Führerschaft geben, die uns von innen und von aussen neu verbindet und die einen komplexen, moralisch vertretbaren Ethos der Interdependenz zu definieren vermögen. Mit allen möglichen Spannungen, Beschränkungen und endlosen Möglichkeiten. Die Facebook-Generation steht schon bereit, aber die Infrastruktur und der kritische Weitblick zu ihrer Unterstützung stehen noch auf schwachen Füssen. Stecken wir in unseren Missverständnissen, Zwiespälten, Uneinigkeiten und Ängsten fest? Agieren wir bereits mit der vollen Kraft unseres menschlichen Wahrnehmungspotentials?
Letzte Woche schrieb Richard Florida, der Autor von „The Flight of the Creative Class“, im „Globe and Mail“, dass die Schicht der Kreativen in Amerika seit 1980 auf vierzig Millionen angewachsen sei und zwanzig Millionen neue Jobs geschaffen worden seien. Das ist ein Drittel der gesamten berufstätigen Bevölkerung in den USA. Nur schon diese Tatsache schafft einen Wandel der gesellschaftlichen Werte für eine breite Öffentlichkeit, bei der Talent, Toleranz und Vielfalt hoch im Kurs stehen.
Ich möchte meine Ausführungen mit zwei Momentaufnahmen beschliessen. Die eine stammt von einer Wissenschaftlerin und die andere von einem Künstler. Beide haben einen Bezug zu Verständnis und Missverständnis und beide haben mich tief berührt und bewegt. Die erste ist ein sehr inspirierender TED-Vortrag (Technology, Entertainment, Design) der Gehirnforscherin Jill Bolte Taylor mit dem Titel „My stroke of Insight“. Sie ist Neuroanatomin und widmete ihr Leben der Erforschung von Geisteskrankheiten durch topografische Kartierung des Mikrokreislaufs im Gehirn. Sie erlitt selber einen schweren Hirnschlag und erforschte ihn über vier Stunden, als er sich ereignete.
Vieles, was ich jetzt sagen werde, stammt direkt von ihr. In ihrem Vortrag sagt sie, dass es offensichtlich wird, wenn man mit dem menschlichen Gehirn arbeitet, dass die zwei kognitiven Zentren unserer Hirnrinden ganz verschieden und voneinander getrennt sind. Computerspezialisten, sagt sie, könnten es sich so vorstellen: Die rechte Hemisphäre funktioniert wie ein Parallelprozessor und die linke wie ein Seriellprozessor. Dabei kommunizieren die beiden Hirnhälften miteinander. Da jede der beiden Information auf eine andere Weise verarbeitet, denkt auch jede an andere Dinge und kümmert sich um andere Sachen. Sie verhalten sich wie eigene Persönlichkeiten.
Ich zitiere sie:
“Der rechten Hemisphäre geht es nur um den unmittelbaren Augenblick, genau hier, genau jetzt. Sie denkt in Bildern und lernt kinästhetisch über die Bewegungen des Körpers. Gleichzeitig strömt Information in Form von Energie durch unser Wahrnehmungssystem und löst sich explosionsartig in einer gewaltigen Collage dessen auf, wie dieser gegenwärtige Augenblick aussieht, sich anhört, riecht, schmeckt und sich anfühlt.“
„Ich bin ein Energiestrahl, der durch das Bewusstsein meiner rechten Gehirnhälfte mit der Energie um mich herum verbunden ist. Wir sind alle Energiestrahlen, die durch das Bewusstsein unserer rechten Gehirnhälften als eine einzige Menschenfamilie miteinander verbunden sind.“
„Meine linke Hemisphäre ist ganz anders. Sie denkt linear und methodisch. Und es geht ihr nur um die Vergangenheit und die Zukunft. Sie ist so ausgestaltet, dass sie diese gewaltige Collage des Augenblicks nimmt und Einzelheiten herausgreift, Einzelheiten und weitere Einzelheiten der Einzelheiten. Sie kategorisiert und organisiert diese Information und bringt sie mit der Vergangenheit in Verbindung, mit allem, was wir je gelernt haben, und projiziert alle unsere Möglichkeiten in die Zukunft. Die linke Hemisphäre denkt in Sprache. Sie ist das Dauergeschwätz im Gehirn, das mich und meine Innenwelt mit der Aussenwelt verbindet. Und vielleicht ist die kleine Stimme das wichtigste, die sagt, ich bin, und kaum hat sie gesagt, ich bin, werde ich etwas anderes als die Energie, die um mich herum fliesst, etwas anderes als du.“
Auf der Ebene des schöpferischen Individuums müssen wir bei uns selber anfangen, wenn wir die zerbrechliche Komplexität unserer gegenseitigen Abhängigkeit und unserer Verwurzelung im Gewebe der menschlichen Beziehungen erkennen wollen. Um das demokratische Projekt weiterzubringen, müssen wir eine metaphorische Vorstellungskraft entwickeln, mit deren Hilfe wir mitfühlende Verbindungen aufbauen und Kommunikationserfahrungen machen können, die anderen vorenthalten bleibt. Das sind „gattungsspezifische“ Fähigkeiten, die zum Kommunizieren und für das gegenseitige Verständnis notwendig sind. Das Ziel ist, wie Baumann schreibt, zu 'wissen, wie man fortfahren soll', aber auch zu wissen, wie man fortfahren soll angesichts anderer, die vielleicht auf eine andere Art fortfahren – und dazu auch das Recht haben.“ (Bauman, „In Search of Politics“)
Der Titel dieses Vortrags heisst Unreine Sutras. Jene unter Ihnen, die mich bereits früher einmal haben sprechen hören, wissen, dass ich der Meinung bin, dass wir nicht der Mehrheit der Welt ins Auge sehen dürfen, wenn wir nicht der Mehrheit unserer eigenen Identitäten, unserer Vorstellung des Selbst und unserer Kultur ins Auge sehen können. Ich würde gerne mit einem dreiminütigen Video von Akram Khan beschliessen. Es zeigt die Entstehung seiner Arbeit „Bahok“, einer Zusammenarbeit mit dem Chinesischen Staatsballet. Als ich mir dieses Werk anschaute, war ich von der inhaltlichen Relevanz und der Kraft und der Schönheit der Ausführung betroffen. Es ist ein überwältigendes Beispiel dafür, wie Künstler aus eigenem Antrieb zusammenarbeiten können und so eine neue globale Kultur des Jetzt schaffen, in der keine Hirnhälfte die andere beherrscht oder missversteht.
Das Video auf YouTube anschauen
(Übersetzt von Adi Blum)