Unternehmerin und Modell für die flexible Arbeiterin von morgen?
Einleitung
Ich bin Künstlerin. Und ich bin Unternehmerin.
Die in diesem Text geäusserten Ideen und Ansichten entspringen einzig privater Nachforschungen und persönlicher Erfahrung. Wenn ich von Kunst spreche, dann meine ich damit hauptsächlich die darstellenden Künste, insbesondere den Tanz, die Oper und die Musik. Meine „wirtschaftlichen“ Erfahrungen beziehen sich auf den Dienstleistungssektor, insbesondere auf die Unternehmensberatung.
Definitionen
Was bedeutet “der flexible Arbeiter von morgen”?
Meine Interpretation ist die folgende: eine Person, die sich ihr eigenes Einkommen verdient und die ihre Arbeitskraft auf einem globalen Markt anbietet. Um dies tun zu können, muss sie im Bezug auf Arbeitgeber, Geographie und Beruf flexibel sein.
Was ist eine Unternehmerin?
Eine Unternehmerin definiere ich als Person, die selbständig entscheidet, wem sie ihre Dienste oder Waren anbietet. Sie ist für die Produktion und Auslieferung dieser Dienstleistungen oder Waren verantwortlich und sie kann vom Einkommen leben, das aus diesen Tätigkeiten stammt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie diese Dienstleistungen und Waren zu einem guten Preis verkaufen muss. Es kann auch bedeuten, dass sie jemanden findet, der sie bezahlt, um ihre Dienstleistungen und Waren Dritten anzubieten.
Antworten
Sind Künstlerinnen flexibel?
Ja. Normalerweise arbeiten sie in Projekten, die selten länger als drei Monate dauern. Sie haben bei jedem Projekt wechselnde Arbeitgeber, Arbeitsorte, Teams und oft auch Länder. Sie arbeiten in verschiedenen Stellungen je nach Vertrag, zum Beispiel als Assistentin, Choreographin, Performerin, Beobachterin von aussen. Die Jobs müssen oft gleichzeitig bewältigt werden, und auch die Akquisation von neuen Projekten ist eine fortwährende Aufgabe. Der Arbeitsmarkt ist eindeutig international (und ist es auch immer gewesen), wenn nicht global.
Nein. Viele Künstlerinnen, vor allem jene, die in interpretierenden Sparten tätig sind, Tänzerinnen, Sängerinnen, Musikerinnen, werden über Jahre von einem Theaterhaus, von einer Oper oder einem Orchester angestellt. (Man könnte sich hier fragen, “wer ist wirklich eine Künstlerin?”, aber das würde zu weit führen.)
Sind Künstlerinnen Unternehmerinnen?
Ja. Sie bieten ihren “Arbeitsdienst” ständig auf dem Kunst-Arbeitsmarkt an. Und/oder sie bieten ihr „Werk“ auf dem Markt für Kulturgüter an. Sie verkaufen entweder direkt oder sie beschaffen sich Mittel. Dennoch geben sie sehr häufig vor, sie hätten durchaus kein unternehmerisches Talent.
Nein. Für eine sehr grosse Zahl von Künstlerinnen treten Agenturen und Galerien als Vermittlerinnen auf und kümmern sich um das Angebot und den Verkauf der Dienstleistungen und Waren auf dem Kunstmarkt, respektive dem Kulturgütermarkt.
Ja. Um eine Galerie oder Agentur zu finden, muss man normalerweise bereits als Unternehmerin aufgetreten sein. Erst wenn man sein Marktpotential demonstriert hat, lässt sich jemand finden, der sich um das “Geschäft” kümmert. Das trifft vor allem für junge und unbekannte Künstlerinnen zu.
Weitere Fragen
Warum sind Künstlerinnen flexibel?
Künstlerinnen sind nicht unbedingt flexibel, weil sie flexibel sein wollen. Normalerweise müssen sie flexibel sein, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es existieren nicht genug Festanstellungen für alle Künstlerinnen.
Ist es „gut“, flexibel zu sein?
Um als positives Modell für die Zukunft zu dienen, sollte die Flexibilität im Minimum ein paar klare Vorteile mit sich bringen. Zuerst verbessert die Flexibilität die Chance, eine Arbeit zu finden und damit ein Einkommen. Zweitens ermöglicht die Flexibilität ein breites Erfahrungsspektrum und bietet die Möglichkeit, spezielle Fähigkeiten zu erwerben wie zum Beispiel Fremdsprachen und das Entdecken von fremden Kulturen und Ländern. Drittens haben flexible Arbeiterinnen normalerweise ein weites Kontaktnetz. Diese Punkte sind besonders für Menschen interessant, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Sie sind auch der Grund, warum mir bekannte junge Künstlerinnen – und auch Unternehmensberaterinnen – (ich nehme mich da nicht aus) in diesen Berufen arbeiten, die einen hohen Grad an Flexibilität erfordern. Aber, früher oder später, wenn man genug Länder und Städte gesehen hat, man einige Sprachen gelernt und so viele Bekanntschaften auf der ganzen Welt gemacht hat, dass man nicht einmal mit der Hälfte davon in Kontakt bleiben kann, hat man genug von diesem Lebensstil. Dies gilt vor allem, wenn man Familienwünsche hat und regelmässig mit guten Freunden in Kontakt bleiben will. Nicht erwähnt sei hier das gesundheitliche Risiko, das ein solch flexibles Leben mit sich bringt, mental und körperlich.
Wird die Arbeiterin von morgen flexibel sein müssen?
Ja, Arbeit wird zunehmend unsicher, geradlinige Karrieren werden immer seltener, Firmen suchen “globale Arbeiterinnen”, die verschiedene Sprachen sprechen, grosse Bereitschaft zu reisen haben und interkulturelle Qualifikationen mitbringen. Alles gleicht sich immer mehr den Bedingungen an, die für die „Kunstwelt“ gelten. Aber es ist nicht nur die Globalisierung, die dieses bewirkt, sondern auch die wachsende Individualisierung unserer Gesellschaft. Menschen streben immer häufiger Karrieren an, die sich nach den eigenen Vorstellungen eines Arbeitslebens richten, dazu gehören wechselnde Arbeitgeber und Jobprofile, manchmal sogar verschiedene Ausbildungen für sehr unterschiedliche Berufe. (Einer meiner Freunde, zum Beispiel, war Auditor in einer internationalen Firma. Plötzlich entschied er sich, seinen Job aufzugeben, um Ostheopath zu werden. Nun arbeitet er während seines Studiums zeitweilig als freischaffender Auditor.)
Gleichzeitig würde ich bezweifeln, dass zukünftig Arbeiterinnen flexibler sein müssen als sie es heute schon sind. Während vielleicht die Globalisierung eine grössere Nachfrage nach flexiblen Arbeiterinnen generiert, könnte die Individualisierung vermehrt das Bedürfnis, flexibel zu arbeiten, wecken (zumindest für einen bestimmten Lebensabschnitt). Damit wäre die Nachfrage gedeckt. Aber alle anderen, die nicht flexibel sein wollen oder können, werden vielleicht immer noch genügend Arbeit finden. Unsere Gesellschaft wird immer älter, immer weniger Menschen produzieren Waren für immer mehr Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen. Der Markt wird wahrscheinlich wieder zum Anstellungsverhältnis zurückkehren (für spezialisierte Berufe ist er es bereits), und es wird dann die Sache der Angestellten sein zu entscheiden, wie flexibel sie arbeiten wollen.
Fazit
Bieten flexible Künstlerinnen das Modell für die Zukunft?
Im Bezug auf die Nachfrage nach Flexibilität gleichen sich die Bedingungen des gesamten Arbeitsmarkts immer mehr den Bedingungen des kulturellen Arbeitsmarkts an. Beide funktionieren tatsächlich bereits sehr ähnlich. Die Frage sollte also eher lauten: Bieten die Künstlerinnen bereits heute das Modell für die flexiblen Arbeiterinnen? Und das tun sie. Sie böten durchaus auch Material für eine Fallstudie, welche aufzeigen könnte, was für Langzeitwirkungen eine hohe Flexibilität im Arbeitsmarkt auf eine Modellgruppe von Erwerbstätigen haben könnte. Vor allem müssten die negativen Auswirkungen der Flexibilität genau untersucht werden. Flexibilität für Künstlerinnen bedeutet oft: Verlust ihres sozialen Netzwerks, Heimatlosigkeit, grosser zeitlicher und finanzieller Aufwand für Reisen und Kommunikation, Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge in verschieden Ländern, um am Ende mit keiner oder nur einer armseligen Pension dazustehen.
Vielleicht haben flexible Arbeiterinnen in der Wirtschaft genügend Geld, um zu reisen, um ihre Telefonrechnungen und ihre Penionskassenbeiträge zu bezahlen, aber sie leiden trotzdem an den “weichen” Auswirkungen der Flexibilität und an den Gesundheitsproblemen, die durch das intensive Reisen verursacht werden, wie zum Beispiel Jetlags und Stress. Um die negativen Auswirkungen eines flexiblen Lebensstils zu minimieren, haben sich Unternehmerinnen aus der Wirtschaft und aus anderen nichtkünstlerischen Bereichen Konzepte einfallen lassen, in deren Umsetzung sie auch Geld investieren wollen und können. Es würde sich sicher auch für Künstlerinnen lohnen, diese genau zu prüfen. Hier seien nur einige erwähnt: Sabbaticals, Familienprogramme, NetzwerkvereinigungenÂ…
Damit ziehe ich folgendes Fazit:
Die flexible Arbeiterin von heute bietet ein interessantes Modell für die flexible Künstlerin von morgen.
Â… nicht zu vergessen sind andererseits Erfahrungsbereiche der Kunst, die der Geschäftswelt ein Modell bieten könnten, zum Beispiel das interkulturelle Teamwork und das Rekrutieren von Stars.
(Übersetzt von Adi Blum)