Künstler sind keine Botschafter
„European Identity – European Misunderstandings“ - Vielleicht beschäftigen wir uns bei diesem Thema mit einem Problem, das es gar nicht gibt, jedenfalls nicht in der aktuellen Kunst. Ist das das eigentliche Missverständnis?
Künstler sind keine Botschafter
Botschafter haben die Aufgabe, ihr Land zu repräsentieren. Künstler haben diese Aufgabe nicht.
Staatliche Instanzen neigen manchmal dazu, Kunst und Künstler für repräsentative Zwecke zu nutzen. Aber das geht meistens schief:
Entweder die Kunst ist zu harmlos, bleibt Schmuck oder Dekoration für den Sektempfang. Sie stört nicht, interessiert aber auch nicht wirklich. Diese Art der Kunstpräsentation wird bei denen, die im Bereich Kulturaustausch arbeiten, „Botschaftskunst“ genannt. „Botschaftskunst“ sind Präsentationen, die von Stellen mit geringem Kultur-Know How veranstaltet werden und nicht auf der Höhe der Zeit sind. Der Name ist entstanden, weil man in Botschaften öfter solche Präsentationen sehen kann.
Oder aber die Künstler machen sich selbständig: Sie agieren nicht so angepasst und weichgespült wie erwartet sondern sind kritisch oder gar widerständig. Dann gibt es meistens Ärger.
In der Berliner Kulturverwaltung haben wir nie die Vorstellung gehabt, dass Künstlerinnen und Künstler diplomatische Aufgaben erfüllen sollen. Wenn Präsentationen von Künstlern im Ausland gefördert werden, ist für uns die erste Frage: Gibt es dort ein Interesse? Das zeigt sich daran, dass eine Einladung vorliegt und Kosten übernommen werden.
Wenn wir selbst die Initiative ergreifen und ein Kulturaustauschprogramm zum Beispiel im Rahmen einer Städtepartnerschaft vorschlagen, zeigen wir gern etwas, was aus unserer Sicht gerade besonders interessant ist. Auch das kann schief gehen, weil die Partnerstadt ganz andere Vorstellungen hat. Solche Städtepartnerschaftsprogramme erscheinen mir in vielen Fällen nicht mehr zeitgemäß, weil die staatlich geförderten Kulturinstitutionen den internationalen Diskurs selbst führen können.
Die nationale Identität spielt bei der Künstlerförderung in Deutschland keine Rolle
In Berlin schon gar nicht. Auch Europäische Identitäten sind nicht wichtig. Die Berliner Künstlerförderung ist auf Berliner Künstlerinnen und Künstler ausgerichtet. Berliner Künstler sind, Künstler, die in Berlin wohnen, egal, ob sie Russe oder Amerikaner, Kurde oder Türke, Schweizer oder Deutsche sind. Das wird schon seit Jahrzehnten so gehandhabt und ginge wahrscheinlich auch gar nicht anders, denn Berlin besteht traditionell aus Zugereisten, das heisst Künstler, die in Berlin geboren, aufgewachsen sind und in der Stadt leben, sind eine Rarität.
Aktuelle Kunst ist in den letzten 20 Jahren in Berlin sehr international geworden. Das gilt ganz besonders für die freie Kunstszene. Es gibt kaum einen Künstler von Bedeutung, der nicht international agiert. Das gilt für Musik und bildende Kunst länger als für Kunstparten, die mit Sprache arbeiten, aber auch im Sprechtheater finden sich in der freien Szene in den letzten Jahren zunehmend mehrsprachige Aufführungen. Am internationalsten ist nach meinen Beobachtungen zur Zeit der zeitgenössische Tanz.
Anders mag es sich bei Volkskunst verhalten. Da in Deutschland wie in der Schweiz Kulturförderung dezentral organisiert ist, erreichen mich gelegentlich Fragebögen aus anderen Bundesländern, mit denen erforscht werden soll, wie das regionale Brauchtum oder die Heimatkunst gefördert wird. Dann bin ich ratlos, denn die einzigen Trachtengruppen, die gefördert werden, gehören zum Karneval der Kulturen, der jedes Jahr zu Pfingsten stattfindet und an dem kostümierte Gruppen aus ca. 150 Ländern teilnehmen. In diesem Sektor habe ich also keine Erfahrung.
Unentdeckte, schwierige und multiple Identitäten
Dass man etwas verkörpert, wird einem oft erst in der Abgrenzung bewusst. Jedenfalls mir ging es so. Ein Bewusstsein für meine nationale Identität als Deutsche habe ich zum ersten mal als Schülerin bekommen, als ein Fahrgast in London wegen der deutschen Nazi-Verbrechen nicht mit mir in einem Bus fahren wollte.
Für eine Europäerin wurde ich zum ersten Mal in den USA gehalten. Ich hätte vorher nie geglaubt, dass es eine europäische Identität gibt, weil die Europäer so verschieden sind.
Ähnlich ist es den Ostdeutschen ergangen. Der „Bürger der Deutschen Demokratischen Republik“, der so lange die DDR ein existierender Staat war, eine hohle Propagandaformel war, mit der kaum jemand etwas anfangen konnte, wurde nachdem der Staat sich aufgelöst hatte, Realität: Millionen Ostdeutsche registrierten, dass sie einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund hatten, der sich von dem des Landes, dem sie beigetreten waren, ganz erheblich unterschied.
Die Deutschen haben sich spätestens seit der Romantik ausführlich mit ihrer nationalen Identität beschäftigt und immer wieder daran gelitten. Ganz aktuell ist das Thema wieder in der Diskussion unter den Stichworten „deutsche Leitkultur“ und „Deutschland als Einwanderungsland“. Es ist nicht leicht zu verstehen, dass es russische oder türkische Deutsche gibt, die andere kulturelle Impulse mitbringen. Wir haben mit dem interkulturellen Lernen gerade erst angefangen. Das gilt für die deutsche Gesellschaft allgemein.
Im Bereich der aktuellen Kunst liegen die Verhältnisse anders: Es gibt einen globalen Kunstkontext, in dem sich die meisten Akteure bewegen. In diesem Kontext werden multiple Identitäten ganz selbstverständlich akzeptiert. Es herrscht eine große Offenheit und auch Neugierde in Bezug auf das Andere oder den Anderen. In diesem Prozess werden alle ihre Identitäten modifizieren. Auf jedem Kunstwerk könnte stehen „Kunst kann ihre Identität gefährden“ – ist das schlimm? Wir dürfen uns verändern. Das macht das Leben interessant!