─ Corina Suteu
Europäische Identität – europäische Missverständnisse
 

Es bedingt einen vollständigen Perspektivenwechsel auf die Idee einer europäischen Identität, wenn man sie nicht in einem euro-atlantischen, sondern in einem geschlossenen inter-europäischen Zusammenhang betrachtet. Zudem, als Kulturdiplomatin, die in den USA arbeitet, stelle ich sehr schnell fest, dass Individuen hier (in USA) in grobe Kategorien eingeteilt werden: weiss und schwarz, männlich oder weiblich, Amerikaner, Chinesen oder Europäer (erst danach sind sie Franzosen, Deutsche, Spanier usw.). Das bedeutet, dass Behörden, die beispielsweise rumänische Kultur in den USA fördern wollen, in ihren Strategien berücksichtigen müssen, dass rumänisch hier zuallererst europäisch ist.

Für Behörden, die eine traditionelle Form von Kulturdiplomatie betreiben, hat dies widersprüchliche Folgen. Sie gehen im Allgemeinen davon aus, dass im Entscheidungsprozess, wie das Land im Ausland würdig dargestellt werden kann, die Idee einer nationalen Identität bestimmend ist. Angesichts dessen herrscht ein erstes Missverständnis darin, dass sich ein amerikanisches Publikum sehr für die Qualität und den Erfolg eines Künstlers interessiert, ohne nach seiner nationalen Herkunft zu fragen. Anderseits schätzt es auch Tradition und lokales Brauchtum. In diesem Bereich wird der Künstler zu Gunsten seines Beitrags an die kulturelle Gemeinschaft jedoch vollständig ausgeschaltet. Wir haben also einerseits einen Ionesco oder einen Brancusi, aber wenn wir sie als Rumänen anpreisen, bemerken wir, dass die beiden in den USA vor allem wegen ihrer ausserordentlichen künstlerischen Erfolge geschätzt werden. Andererseits gibt es das anonyme künstlerische Erbe, nicht zwingend rumänisch, und wir verfügen über orthodoxe Ikonen, moldawische Teppiche und Volkslieder.

Beträchtliche Unterschiede sind auch festzumachen in der Art und Weise, wie kleinere Kulturen ihre Kultur fördern, und wie Nationalkulturen wie Frankreich, Grossbritannien oder Deutschland damit umgehen. Zum Beispiel sind zeitgenössische Künstler, die mittlerweile weltberühmt sind, ausserordentlich gute Promotoren für Rumänien, weil sie rumänische Wurzeln haben (zum Beispiel der Rumäne Cristian Mungiu, der letztes Jahr in Cannes die Palme dÂ’Or verliehen bekam, oder Dan Perjovschi, ein bildender Künstler, der seine erste Soloausstellung im MoMa in New York einrichtete). Dagegen werden weniger berühmte Künstler unbewusst als wertvoller eingeschätzt, weil sie aus Frankreich oder Deutschland stammen, also aus europäischen Ländern, die eine grössere Legitimität innerhalb der international etablierten Kultur-Agora geniessen.

Daher muss sich die Kulturdiplomatie stets die verschiedenen externen und internen Zusammenhänge bewusst machen, denn sie kann, wenn sie schlecht oder ungeschickt agiert, mehr Missverständnisse als Einsichten erzeugen.
Folglich sind Netzwerke im eigentlichen Sinne (IETM und THE sind sehr gute Beispiele dafür) und die dort gemachten Erfahrungen unverzichtbare Werkzeuge geworden. Sie schaffen durch den persönlichen Austausch wirkungsvolle Verbindungen zwischen den Kulturen.

Von Leuten, deren Aufgabe es ist, die Kultur ihres Landes zu vertreten, werden Fähigkeiten von sehr komplexer und subtiler Natur verlangt, wenn sie sich in diesem stets neue Verbindungen schaffenden kulturellen Universum bewegen, das eine heterogene Mischung von Kleinem und Grossem, Offiziellem und Underground an einem Ort zusammenführt und so gleichzeitig Zugang zu urbanem Graffiti und zur Mona Lisa schafft. Sie müssen zielgerichtet bleiben und gleichzeitig mit der internationalen und interkulturellen modernen Kulturlandschaft erfolgreich Kontakte knüpfen.

Es bleiben viele Fragen offen: Wie weit können wir heute in der Darstellung unserer nationalen Kultur gehen? Könnten wir dies auch mit sehr jungen Strassenkünstlern tun? Wie bewahrend müssen wir sein, um kulturell auf der „sicheren Seite“ zu bleiben? Wer, und mit welchen Kriterien, kann eine angemessene Auswahl treffen, wenn es gilt, die „nationale“ Kunst einem ausländischen Publikum zu präsentieren?

Diese Fragen werden zunehmend schwieriger zu beantworten. Die Kulturdiplomatie befindet sich in einem fundamentalen Wandel vom Nationalen zum Globalen, wie auch die Grundidee einer europäischen Identität durch die Fluidität eines konnektiven modernen, virtuellen und physischen Raums zunehmend in Frage gestellt wird.

(Übersetzt von Adi Blum)


Corina Suteu
Direktorin des Romania Culturel Institute in New York; Forscherung Beratung; Gründerin und Präsidentin von ECUMEST Association in Bukarest, lebt in New York.
http://www.icrny.org